Wir Dürften Kaum Lachen

Der ein Jahr jüngeren Schwester von Johann Michael, Margarethe, verdanken wir eine einzigartig wertvolle Quelle, denn ihre ausführlichen Erinnerungen bieten tiefe Einblicke in ein Hamburger Frauenleben der Aufklärung. Wie ihr Bruder reflektiert sie nachträglich – 1778 beginnt sie den Text unter dem Titel Mein Leben. Ein Vermächtniss für meinen Mann und Kinder niederzuschreiben – kritisch über das Bildungsniveau ihrer Kindheit und bezeugt dabei zunächst die eingeschränkten Ambitionen für Frauen der Eltergeneration.

Ihre Mutter, die «nach der damahligen Gewohnheit in Hamburg die Töchter” erziehen musste, habe vor allem “Ordnung und Fleiss in häuslichen Geschäften und Handarbeit gelernt, etwas Schreiben, etwas Katechismus, Erkenntnis in der Religion, aber kaum konnte sie Hichdeutsch sprechen1 Die Erzieherin als weitere frühe Bildungsinstanz vermittelte ebenfalls entsprechend den für Töchter vorgesehenen Anforderungen vor allem Frömmigkeit, Französisch und Handarbeiten. Der Tatsache, dass es singen und mitsingen konnte, verdankte das kleine Mädchen ein Quentchen mehr an emotionaler Zuwendung in einem Gesamtklima, das mit persönlichen Gefühlen eher karg war:

«Bey dieser Aufseherin nun lernten wir etwas französisch plappern, alle möglichen Handarbeiten, Katechismus und Gebete in Menge. Sie hatte einen Hang zur Schwärmerei, und wenn wir nähten, sang sie beständig. Doch hatte das den Vortheil, dass auch mir das Gebet meine liebste Beschäftigung ward (…). Wir dürften kaum lachen, und sie hatte uns sehr in Furcht, doch liebte sie mich vorzüglich, weil ich mit ihr singen konnte und mochte.”2

Mit ca. zwölf Jahren bekamen die Mädchen einen Hauslehrer, der Margarethe auch die moderne Literatur nahebrachte, deren Lektüre allerdings von der nächsten Erzieherin wiederum als unangemessen betrachtet wurde:

Damals bekamen wir auch einen Kandidaten, der uns in der Religion, Historie, Geographie unterrichtete, auch bekamen wir Tanzmeister, Sprachmeister, Zeichenmeister (…). Der Kandidat gab mir Bücher, Gellerts Werke und dergleichen, die verschlang ich beinahe aber sie (eine neue Aufseherin) nahm sie mir wieder weg, und ich durfte es nicht wagen etwas anderes wir den Katechismus zu lessen.3

Sicher handelte es sich bei Gellerts Werken nicht um seine geistlichen Lieder, sondern um weltliche Gedichte, Dramen oder Romane. Erst eine neue Aufseherin machte ihr eine weltliche Lektüre wieder möglich. Ausführlich berichtet Margarethe Hudtwalcker über das Theaterspielen mit Freunden – das Trauerspiel Die Horazier von Georg Behrmann (sie spielte die Hauptrolle Camilla) und Das Band von Gellert -, das die pubertierenden Jugendlichen in einigen Aufruhr setzte, bis die Aufseherin eines Tages eine Probe beobachtete und, schockiert über das aus ihrer Sicht zügellose Verhalten ihrer Zöglinge, das Theaterspielen und Treffen mit den Freunden unterband.4

Ein Konzertbesuch im Hause eines befreundeten Kaufmanns zählte zu den wenigen, sich in Zukunft wiederholenden Abwechslungen eines hauptsächlich durch häusliche Arbeit geprägten Alltags. Über die Braut des Gastgebers – “damals das schönste Mädgen, so ich vorher und nachher je wieder gesehen” – machte sie die Beobachtung:

Es war das einzige Mädgen, das den Beschreibungen in Büchern entsprach, ja sie weit übertraf. Ihr gantzes Wesen was Anmuht (sic), ich sah nur sie, hörte nur sie singen auf dem Koncert.5

Quelle

Katharina Hottmann: Auf! Stimmt ein freies Scherzlied an, Weltliche Liedkultur im Hamburg der Aufklärung, J.B. Metzler, Stuttgart, Springer-Verlag GmbH, 2017

Notizen

  1. Millow: Ich will aber nicht murren, s. 16
  2. Ebd.s. 18
  3. Ebd.s. 19f
  4. Ebd. s. 22-24; vgl. Dazu auch Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit, s. 57f
  5. Milow: Ich will aber nicht murren, s. 28

www.hudtwalcker.com 2019