Aus Dem Alten Hamburg

Hudtwalcker Shield

Lehrjahre sind keine Herrenjahre.

Der zu Anfang dieses Jahrhunderts verstorbene hiesige Senator Johann Michael Hudtwalcker hat eine Lebensbeschreibung hinterlassen, welche er leider nicht über die Schilderung seines Lebens im Hause seiner Eltern, etwa um das Jahr 1760, hinausgeführt hat. Sein Vater war der Oberalte Jacob Hinrich Hudtwalcker, und es ist in hohem Grade interessant, was uns aus dessen Lehrzeit in der Handlung des Kaufmanns Meinert von Winthem, der in der Reichenstrasse wohnte und mit Heringen, Tran und Fischwaren handelte, berichtet wird:

«Mein Vater war in seinem 17. Lebensjahre von einer sehr zarten und schwachen Leibensbeschaffenheit, aber man konnte mit ihm keiner Ausnahme machen. Die Lage des Kaufmannsburschen war derzeit nicht von der Lage eines Handwerksburschen verschieden, und vielleicht in mancher Hindsicht noch schlimmer. Er musste mit den Mägden an einem Tisch essen, man gib ihm Kittel und Schürze. Er musste den Tag über mit den Heringspachern, Küpern und Arbeitsleuten in Rei hund Glied treten und des Abends dann im Kontor Schreiben. Er pflegte mir oft mit Tränen im Auge zu erzählen, wie schmerzhaft des Morgens zu Anfang der Arbeit das Salz des Herings auf seine von der Arbeit des vorigen Tages verwundeten Fingern gebissen hätte. Er musste die Schuhe für seinen Herrn und für die Handlungsdiener, die sie immer mehr wie sein Patron getadelt hatten, putzen. Er musste, wenn sein Herr des Abends zu einem Besuch war, ihm mit der Leuchte voran begleiten. Er ertrug dies Alles, aber er musste auch mit der Köchin gemeinschaftlich den von ihr aufgefegten Unrath aus dem Hause über die Strasse tragen, und dies presste ihm oft Tränen des Unwillens aus. Diese traurige Lage, wobei er, obgleich gesund doch klein und schwach blieb, dauerte vier Jahre, bis sein Patron seine grössere Brauchbarkeit einzusehen anfing, einen anderen Burschen anstellte und ihn mit an seinem Tisch nahm.

Nun fühlte er sich sehr glücklich, denn obgleich seiner auch körperlichen Arbeiten viele waren, so machten sie ihm doch Freude, da er sie unter den Augen seines Patrons und mit seinem Beifall tat. Er lernte nun Kenntniss neuer Waren, Briefe schreiben, Bücher halten unter anderem, obgleich das italienische Buchstaben damals wenig gebräuchlich war. Er hatte keine Verwandte, keine Verbindungen in Hamburg, zu öffentlichen Lustbarkeiten kein Geld und war also ganz auf den Cirkel seines Hauses und seines Geschäft eingeschränkt. Die ganze Woche ging ununterbrochen in Arbeit hin, des Sonntags ging er regelmässig zweimal in die Kirche, machte im Sommer des Nachmittags einen Spaziergang, trank bei einer Pfeife ein glas Bier, und im Winter brachte er den Sonntag Abend auf seinem Zimmer bei seinem Buche zu.

Das derzeit gebräuchliche öftere Kirchengehen hatte doch bei manchem Jungen Menschen in der Lage, in der mein Vater war, den grossen Nutzen, dass es die Stelle des fortgestzten Unterrichts, wozu es in diesen Zeiten an anderen Hilsmittlm so sehr fehlte, vertrat. Seine Lektüre war in dieser Zeit seine Bibel. Von anderen Büchern besass er damals nur Brockes, der der Liebling seiner Vaterstadt und damals viel mehr gelesen war, als jetzt Klopstock. Ihm dankte er viele süsse Stunden und besonders das herrschende Gefühl für die Schönheit der Natur, das sein ganzes Leben durch die Quelle seiner reinsten Freuden blieb.»

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