Von Der Senatorin Zur Perfekten
Zwei Welten, aber in manchem doch überraschend ähnlich
Auf ihren Bildnissen sehen die alten Hamburgerinnen sehr kühl und vornehm aus, fast verschlossen. Es sind die Antlitz kluger Frauen, die auch bei aller Güte, die aus ihren Augen spricht, auf uns heutige ein wenig unnahbar wirken. So auch Elisabeth Hudtwalcker, die das Hamburger Abenblatt im Bilde zeigte, als es zu seinen Lesern das erste Mal von der Idée der perfekten Hamburgerin sprach. Von der damaligen Senatorin bis zu Inga Carlsson, der nun gewählten perfekten Hamburgerin, führt ein weiter Weg. Aber beide Frauen haben manches gemeinsam.
Elisabeth Hudtwalcker ist 1803, ein Jahr vor ihrem frühen Tode, vom Lemontier gemalt worden. Das Bild, das zu den schönsten Zeugnissen aus Hamburgs Geschichte zählt, die sic him Besitze unserer Kunsthalle befinden, zeigt eine schöne, offenbar über ihr Alter hinaus gereifte junge Frau. Sie ist kostbar gekleidet, als hätte der Schneider sie von einem Schrein umschlossen.
Ihr Lebensgefährte, der Senator Johann Michael Hudtwalcker, zählt zu den grossen Namen in der langen Reihe bedeutender Senatoren und Minister unseres Stadt-staates. In einem Bericht von Percy E. Schramm über “Die Hamburgerinnen im Zeitalter der Empfindsamkeit” wird sehr viel Rühmenswertes über den hohen Stand der Lebenskultur im Hause Hudtwalcker berichtet. Johann Michael Hudtwalcker war ein echter Vertreter der Kaufmannsstadt, von grossem wirtschaftlichem Weitblick. Ein Mann, der gleichzeitig fein gebildet war und den es drängte, mit der Kraft seiner Feder der frühvollendeten Lebensgefährtin nach ihrem Tode ein rührendes literarisches Denkmal zu setzen.
Elisabeth Hudtwalcker zeugte ihrerseits für den hohen Stand der Frauenbildung ihrer Zeit, die die Zeit Goethes war. Sie las Einckelmann und kannte alle Werke Gotthold Ephraim Lessings. Beide Eheleute pflegten mit tiefem Verständniss Bekanntschaft und Freundschaft mit Chodowiecki, Schadow, Graff, Geer, Oeser und Tischbein. Der Herr Senator dichtete, die Frau Senator malte. Ihre Liebesgeschickte ist nicht ohne romantische, ihr Liebesschicksal nicht ohne tragische Züge. Der Bräutigam warb mit einem tiefempfundenen fingierten Brief, den er in der Zeitung veröffentliche, um die Braut. Beide fühlten sich leidenschaftlich dem Theater verbunden. Elisabeth Hudtwalcker deklamierte, wie Percy Schramm berichtet, ganze Szene aus der “Emilia Galotti”. In der Erziehung ihrer Kinder liess sie sich von Rosseau belehren, wenn auch nichtahnend, dass Jean Jacques selber ein Rabenvater und nicht gerade das Muster eines ordentlichen “Ehemannes” war.
Alle diese Frauen vom Typus der Elisabeth Hudtwalcker lebten “über den Niederungen des Volkes”. Sie waren musterhafte Hüterinnen des Heims und führten in Hamburg kaum das, was Paris, Wien und Berlin einen “Salon” nannten, auch wenn ihre Gastlichkeit ebenso kultiviert war wie die Ausstattung ihrer ansehnlichen Bürgerhäuser, jedenfalls viel kultivierter als man es “reichen Krämern” zutraut.
Einer altangesehenen Patrizierfamilie anzugehören, bedeutete keineswegs immer Reichtum. Das beweist jene rührende Geschichte von der Gattin Carl Friedrich Petersens des nachmaligen grossen Bürgermeisters, die, als man ihren Mann in den Senat wählte, auf das tiefste erschrak, da dieses Ehrenamt wohl einen hohen Aufwand erforderte, aber keine Einkünfte brachte, so dass sie nun allen Ernstens fürchtete, sie werde nun den Gebrauch der Butter einschränken müssen.
Man war im alten Hamburg also durchaus bereit, um Rang und Ansehen ein wenig zu darben und ein Jahr lang schlicht zu leben, um weningstens einmal die Gäste reichlich zu bewirten und Wohlstand zu mimen.
Auf unsere Tage sind wohl die Namen der Elisabeth Hudtwalcker, der Elise Averdieck, der Amalie Sieveking und der Emilie Wüstenfeld überkommen, ehrwürdige Namen. Ein Patriziat in ihrem Sinne gibt es nicht mehr. Heute gehen die weiblichen Repräsentanten unserer Stadt aus dem Volke selbst hervor. Sie bemühen sich, als Hausfrauen und Mütter, aber auch als Trägerinnen eines eigenen Berufes, tüchtig, fleissig, aufrecht, klug und lebenserfahren, ihren Weg zu finden und auch unbemannt ihren Mann zu stehen.
Inga Carlsson, einzige Quartiersmännin in Hamburg, ist ein gutes Beispiel für diese Frauen. Es zeugt für die Lebensnähe und für die Hafenverbundenheit der Hamburger, dass sie eine junge, unprätentiöse Frau wie sie als “perfekte Hamburgerin” nominierten.
Inga scheute sich nicht, das Lebenswerk ihres Vaters, der in Hamburger Hafen das ehrbare und wichtige Gewerbe eines Quartiermannes betrieb, fortzusetzen, obgleich vor ihr keine Frau jemals diesen Männerberuf ausgeübt hatte. Für Inga Carlsson ist der Beruf des Quartiermannes kein nüchternes Gewerbe. Die Schiffsfracht die ihr angetreut wird ist für sie keine Häufung toter Gegenstände. Inga Carlsson besitzt Phantasie genug, um beim Umgang mit allen fremdländlischen Waren immer sich zu sehen, die ihr so kostbares Kaufmannsgut anvertrauten. Und was die wie im Jahre 1951 nicht die gleiche Liebe einem Hemingway zuwenden, die ihre Geschlechtsgenossin von 150 Jahren Klopstock, Hagedorn und Herder zuwandten?
Gewiss, sie gehören zwei Welten an, die Hudtwalcker und die Carlsson, getrennt durch Generationen, und doch, in wie vielen Punkten bleiben sie einander überraschend ähnlich!
Erich Lüth
Hamburger Abendblatt, Montag, 23. Juli 1951
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